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Die Entstehung der Grundherrschaft im frühen Mittelalter

Die Gründe für die Entstehung der Grundherrschaft im frühen Mittelalter waren vielschichtig. Sie beruhten einerseits auf Entwicklungen, die in der römischen Spätantike angelegt worden waren. Andererseits lagen ihre Ursprünge in der Struktur der germanischen Gesellschaft. Im frühen Mittelalter entwickelte sich aus diesen beiden Wurzeln im westlichen Teil des Frankenreiches, auf dem Boden der ehemaligen gallischen Provinzen, die klassische Form der Grundherrschaft, das Villikationssystem.


Außerhalb dieser Region fand diese Form der Agrarverfassung nur allmählich und dann auch nicht flächendeckend ihre Anwendung. Bis zum Ende des Hochmittelalters hatte sich die klassische Form der Grundherrschaft schon wieder aufgelöst.


Die Ursprünge der Grundherrschaft im römischen Reich


Die für die Grundherrschaft typische Bindung der Bauern an das von ihnen bewirtschaftete Land entstand schon in der römischen Spätantike. Im späten 4. und dann im 5. Jahrhundert verlor die mit Sklaven betriebene Latifundienwirtschaft zunehmend an Bedeutung. Stattdessen siedelten die Eigentümer der villae rusticae verstärkt Kolonen, bäuerliche Pächter, auf ihrem Land an.


Mit dem fortschreitenden Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in den westlichen Reichsteilen gingen allmählich viele hoheitliche Funktionen auf die Großgrundbesitzer über. Dadurch gerieten die ursprünglich freien Kolonen in eine immer stärker werdende Abhängigkeit vom Grundeigentümer. Aus der zunächst wirtschaftlichen wurde Stück für Stück schlussendlich auch eine rechtliche Abhängigkeit. Grundlage der Herrschaftsausübung blieb im römischen Reich jedoch immer das Bodeneigentum.


Die Ursprünge der Grundherrschaft in der germanischen Gesellschaft


Die germanische Gesellschaft bestand vor allem aus Freien und halbfreien Knechten. Ob es einen echten Adel bei den Germanen gab, darüber diskutierte man sogar noch zu Zeiten Karls des Großen. Aber natürlich gab es eine Oberschicht, die sich Aufgrund von Herkunft, Leistung oder Erfahrung und damit dem politischen Gewicht klar vom Rest der Bevölkerung abgrenzte. Neben diesen drei Bevölkerungsgruppen gab es jedoch auch bei den Germanen Sklaven, die Unfreien. Im Gegensatz zu den Sklaven im römischen Reich wurden die Unfreien bei den Germanen jedoch nicht kaserniert. Vielmehr siedelte man sie auf eigenen Hofstellen an. Von ihren Erträgen mussten die Unfreien nun Abgaben in Form von Getreide, Vieh und Kleidung an die Herren entrichten. Frondienste gab es bei den Germanen noch nicht. Grundlage der Herrschaft war hier immer die persönliche Abhängigkeit.


Die Entstehung der Grundherrschaft auf den fränkischen Königsgütern


Der salfränkische König Chlodwig hatte im frühen 6. Jahrhundert seine Macht auf die ehemaligen gallischen Provinzen des römischen Reiches ausgedehnt. In der Folge konnte der fränkische Adel, allen voran das Königshaus der Merowinger, zahlreiche römische Landgüter an sich bringen. Auf diesen Königsgütern, später auch auf Gütern der Kirche, entwickelte sich das System der Grundherrschaft mit einem Herrenhof und den davon abhängigen Bauernstellen. Die Anfänge sind im 7. Jahrhundert fassbar. Voll ausgebildet war die Grundherrschaft erstmals im 9. Jahrhundert im mittleren Seine-Gebiet. Von dort aus breitete sie sich vor allem nach Nordosten und Osten aus. Die Grundherrschaft war jedoch nie die einzige Form der Herrschaftsausübung.


Die Ursachen für die Entstehung der Grundherrschaft sind wohl einerseits in der ausgedehnten Rodungstätigkeit vor allem im 8. Jahrhundert zu suchen, andererseits in einer veränderten Wirtschaftsweise. Unter den Merowinger beschränkte sich der Frondienst der freien Bauern auf die „riga“, die Arbeit auf einem kleinen Stück Herrenland. Die Erträge daraus fielen vollständig an den Herrn. Das restliche Herrenland wurde in alter römischer Tradition durch kasernierte Sklaven bewirtschaftet. Seit dem 7. und verstärkt dem Beginn des 8. Jahrhunderts wurden nun aber zunehmend sowohl Kolonen, die als Nachfahren der Gallo-Römer weiterhin nach römischem Recht lebten, als auch Sklaven mit durch Rodung neu geschaffenen Bauerngütern ausgestattet. Diese Vermehrung der Ackerfläche führte gleichzeitig zu einer Intensivierung des Getreideanbaus. Die Viehwirtschaft, vor allem in Form der Waldweide, nahm im gleichen Zuge ab.

Bauern bei der Aussaat. Lutrell-Psalter, p 23 r, um 1330. The British Library


Bei der Viehwirtschaft verteilten sich die nötigen Arbeiten mehr oder weniger gleichmäßig über das Jahr. Beim Getreideanbau jedoch fielen die Arbeiten nun stoßweise an, vor allem vor der Aussaat und bei der Ernte. Das Vorhalten der dafür nötigen Arbeitskräfte in Form von kasernierten Sklaven wurde dadurch unwirtschaftlich. Auf selbständigen Bauernstellen angesiedelte Sklaven hingegen ernährten sich selbst – uns sorgten mit der Gründung eigener Familien auch noch von ganz alleine für einen ständigen Nachschub an Arbeitskräften. Zudem hatten sie, im Gegensatz zu kasernierten Sklaven, ein eigenes Interesse am Ertrag ihres Hofes, von dem Abgaben zu leisten waren.


Das Hufenland – Grundlage der grundherrschaftlichen Landaufteilung


Wichtiger Bestandteil der Grundherrschaft war die Aufteilung des Landes in Mansen – auf deutsch Hufen –, also in Parzellen, die genau so groß waren, dass eine Familie dieses Land bewirtschaften und sich von diesem Land auch ernähren konnte. Eine Hufe ist eine vom Fronhof abhängige, aber selbständig wirtschaftende Bauernstelle mit Hofstatt, Ackerland und den Rechten zur Nutzung der Allmende, also vor allem der gemeinschaftlich genutzten Weide- und Waldflächen.


Der mansus enstand im 7. Jahrhundert in der Umgebung von Paris. Seine Wurzeln hat er sowohl im römischen jugum, der Bemessungsgrundlage für die Besteuerung (jugum ist eigentlich das lateinische Wort für Joch. Im übertragenen Sinn ist es die Fläche, die mit einem Ochsengespann bearbeitet werden kann.) Andererseits liegen die Wurzeln des mansus in der colonica, dem bäuerlichen Familienbetrieb.


Da die Erträge natürlich stark von den klimatischen Verhältnissen und der Bodenqualität abhängen, konnte die Größe einer Hufe sehr unterschiedlich ausfallen. So lagen die Hufengrößen der Abtei Saint-Germain-des-Prés (die dem gleichnamigen Stadtteil von Paris ihren Namen gegeben hat) im 9. Jahrhundert zwischen 0,25 Hektar und 17 Hektar, die der Abtei Lobbes im Hennegau im gleichen Zeitraum zwischen 15 Hektar und 38 Hektar.

Der Übergang von der Sklaverei zur Leibeigenschaft

Mit der Entstehung der Grundherrschaft wurden aus Sklaven Leibeigene. Diese waren an den Leib des Herrn gebunden, arbeiteten auf dem Herrenhof und konnten vererbt werden. Ende des 10. Jahrhunderts war der Übergang von der Sklaverei zur Leibeigenschaft abgeschlossen. Dazu gehörte die Anerkennung der Deliktfähigkeit des Grundhörigen – ein Sklave konnte nicht vor Gericht gestellt werden, sondern wurde von seinem Herrn nach Gutdünken bestraft. Anders als ein Sklave durfte ein Unfreier aber von seinem Herrn auch nicht mehr ohne Grund getötet werden.

Gleichzeitig hatte nicht mehr nur der Herr, sondern zumindest teilweise auch die Familie eines durch Fremdverschulden zu Tode gekommenen Unfreien Anrecht auf das Wergeld. Damit einher ging die nicht nur in der Praxis gelebte, sondern auch rechtlich abgesicherte Ehe- und Vermögensfähigkeit der Unfreien.


Während der Entstehung der Grundherrschaft wurden im Laufe der Zeit immer mehr Sklaven auf abhängigen Bauernstellen angesiedelt. Gleichzeitig mussten die so zu Grundhörigen gewordenen Sklaven immer mehr Frondienste leisten. Über diese Dienste waren die unfreien Bauern mit dem zu bewirtschaftenden Herrenland verschränkt. Im Gegensatz zu einem Leibeigenen ist der Grundhörige nicht an den Leib des Herrn, sondern an den Boden gebunden. Wechselte eine Hufe den Besitzer, wechselten die an die Hufe gebundenen Bauern den Herrn.


Der Weg von freien Bauern in die grundherrschaftliche Unfreiheit

Aus verschiedenen Gründen traten auch immer wieder freie Bauern in einen Fronhof-Verband ein. Der wichtigste Grund war die Befreiung vom Kriegsdienst. Freie Bauern unterlagen dem Heerbann. Für Waffen, Rüstung und in karolingischer Zeit auch immer öfter ein Pferd mussten sie selbst aufkommen. Während eines Kriegszuges stand ihre Arbeitskraft dann auch nicht auf dem eigenen Hof zur Verfügung.


Zudem wurde der Druck auf die freien Bauern künstlich erhöht. Bauern, deren freier Grundbesitz die Begehrlichkeiten eines Großen in der Gegend geweckt hatte, die aber partout nicht verkaufen wollten, wurden in der Folge einfach überproportional häufig zum Kriegsdienst gerufen – so lange, bis sie völlig verarmt waren und ihr Land dann doch übergeben mussten. War das geschehen, konnten sie von nun an zuhause bleiben. Mancher Freie ging sogar so weit, sich selbst verknechten zu wollen, um dem Heerdienst zu entgehen. Das war aber wohl eher die Ausnahme als die Regel und ist nur sehr selten urkundlich belegt.


Bauern, die ihr freies Eigenland verloren und ihr Land fortan als Pächter bestellten, gingen mit dem Grundherrn zunächst ein rein wirtschaftliches Verhältnis ein. Daher gab es neben den unfreien Hufen (mansi serviles) auch freie Hofstellen (mansi ingenuiles) und als Zwischenstufe die minderfreien Hufen, die mansi lidiles. Die Höhe der Abgaben und die Menge der zu leistenden Frondienste waren dabei immer an die Hufe gebunden, unabhängig vom persönlichen Stand des Bauern. Ein persönlich freier Bauer, der auf einer unfreien Hufe saß, musste daher dennoch vergleichsweise mehr Fronarbeit leisten und dafür weniger Pachtabgaben zahlen.


Freie Hufenbauern liefen dennoch Gefahr, den unfreien Hintersassen derselben Grundherrschaft gleichgestellt zu werden. Vor allem reiche Klöster nutzten ihre starke Stellung aus: Sie nahmen die aus den Pachtbedingungen geschuldeten Frondienste als Beleg für die auch persönliche Unfreiheit eines Bauern. So hielten sie die Bauern von den öffentlichen Gerichten fern und unterwarfen sie ihrer eigenen, grundherrschaftlichen Gerichtsbarkeit.


Die Verbreitung des grundherrschaftlichen Systems

Im 9. Jahrhundert breitete sich das klassische System der Grundherrschaft nach Flandern, Ost-Frankreich, England und Nord-Italien aus. In ihrer reinen Ausprägung blieb sie aber beschränkt auf Austrasien, Neustrien und Burgund. Selbst im Kerngebiet, zwischen Seine und Rhein, war das klassische und voll ausgebildete System der Grundherrschaft nicht die häufigste Form der Herrschaft. In Burgund wurde das Herrenland noch im 10. Jahrhundert in der Regel nicht durch fronende Bauern, sondern durch kasernierte Sklaven bewirtschaftet. Fronen mussten die unfreien Bauern hier oft nur an drei Tagen im Jahr.


In Portugal, östlich der Elbe und in Friesland hat es die Grundherrschaft nie gegeben, in Spanien – zunächst der spanischen Mark, im Zuge der Reconquista dann Katalonien und Kastilien – kaum. Auch in Südfrankreich, Mittelitalien und Böhmen war sie immer nur schwach vertreten.


Insgesamt waren trotz Allem immer noch mehr als 50 % der Bauern freie Landeigentümer. Dennoch blieb die Sklaverei für lange Zeit weiter fundamental für die Landwirtschaft sowohl in großen als auch in kleinen Betrieben. So galt es noch um das Jahr 800 als Zeichen bitterer Armut, wenn ein freier Mann keinen Sklaven hatte. Tatsächlich waren es vor allem kirchliche Institutionen, die noch lange Zeit vom Einsatz von Sklaven profitierten. Gemäß den Beschlüssen des 16. Konzils von Toledo im Jahr 693 sollten Pfarrkirchen, die über weniger als 10 Sklaven verfügten, mit anderen Pfarreien zusammengelegt werden. Noch in der karolingischen Gesetzgebung waren für jede Pfarrkirche mindestens vier Sklaven zur Bearbeitung der Kirchengüter vorgesehen.


Alternativen zur Grundherrschaft im frühen Mittelalter


Auch nach der Entstehung der Grundherrschaft existierten mehrere alternative Systeme der Landnutzung. So gab es vor allem in Südfrankreich Herrschaften, in denen alles Land an die Bauern vergeben war. Somit gab es kein Salland und damit auch keine Frondienste. Die Bauern in diesen Herrschaften bestellten ihr Land in Teilbau. Das heißt, dass sie einen festen Anteil, meist 1/10 ihrer Ernte, die taxe, an den Grundeigentümer abführen mussten. Hinzu kamen Naturalabgaben für die Nutzung von Wald und Weide.


Auch in Nordfrankreich gab es praktisch keine Frondienste. Abgaben wurden in Form von Getreide und Holz geleistet, und zwar nicht anteilig, sondern in festen Mengen. Dieses System lässt sich in direkter Linie auf spätrömische Staatsdomänen zurückführen, die vor allem in die Hände der Kirche und einiger weniger Mächtiger im Umfeld des Königs gefallen waren.


Bei einem dritten Alternativtyp waren nur wenige Hufen an freigelassene Sklaven vergeben. Der überwiegende Teil des Landes wurde als Salland auch hier durch kasernierte Sklaven bewirtschaftet, aus denen später Leibeigene wurden.


Der Niedergang der Grundherrschaft im hohen Mittelalter


Schon im 9. Jahrhundert konnte der Verkauf von zur erblichen Nutzung überlassenem Herrenland nicht mehr verhindert werden. Die villae als geschlossene Herrschaftsgebiete lösten sich so schon recht früh allmählich wieder auf. Karl der Kahle musste sich in einem Edikt des Jahres 864 mit eben diesem Problem befassen.


Die Last der Abgaben an den Grundherrn nahm ebenfalls seit dem 9. Jahrhundert kontinuierlich ab. Im 12. Jahrhundert waren die Bodenzinsen unbedeutend geworden. Im 13. Jahrhundert hatten sie vielfach sogar nur noch symbolischen Charakter.


Im 12. Jahrhundert zogen sich die Grundherren außerdem zunehmend aus der direkten Bewirtschaftung ihres Landes zurück. Immer häufiger verpachteten sie ihr Land parzelliert an die Bauern. Auch viele Herrenhöfe wurden nun nicht mehr selbst mittels eines Meiers betrieben, sondern verpachtet. Gleichzeitig wandelten die Grundherren die Frondienste in Geldabgaben um. Somit verschwand auch die Leibeigenschaft. Aus Leibeigenen wurden Grundhörige.


Begünstigt wurde diese Entwicklung im 13. Jahrhundert durch die Welle von Stadtgründungen. In den Städten mit ihrer stärker arbeitsteiligen Gesellschaft fanden die Bauern die Märkte, auf denen sie ihre Ernteüberschüsse in bare Münze umwandeln konnten. Nur die Klöster hielten vielfach bis in das 13. Jahrhundert am klassischen System der Grundherrschaft fest.


Trotz allem blieb die Last der Abgaben für die Bauern hoch. Oft lieferten die Äcker als Ertrag nur das 2,5- bis 4-fache der Aussaat. Das bedeutete, dass zwischen 25 % und 40 % der Ernte für die nächste Aussaat zurückgehalten werden musste. Selbst eine vergleichsweise geringe Abgabenlast konnte da schnell einen erheblichen Teil der als Nahrungsmittel nutzbaren Vorräte ausmachen.


Zusätzliche Belastungen durch die Burgherrschaft


Neben der Grundherrschaft entwickelte sich seit dem 10. Jahrhundert vor allem in Frankreich die Burg- bzw. Bannherrschaft. Zum Schutz gegen die Einfälle der Wikinger und der Ungarn – und in Frankreich und Italien auch gegen die Sarazenen – hatten die französischen Könige und die römisch-deutschen Könige und Kaiser vermehrt begonnen, Burgen zu bauen.

Als Gegenleistung für den Schutz verlangten die Burgherren, die sich angesichts eines zunächst vor allem in Frankreich schwachen Königtums rasch von ihren Herren frei machen konnten, von den Bauern in der Umgebung ihrer Burg Abgaben und Frondienste, die consuetudines. Diese waren für alle Bauern gleich, egal ob frei oder unfrei. Dadurch und durch die immer geringer werdenden grundherrschaftlichen Abgaben und Dienste verwischten sich die Grenzen zwischen freien und unfreien Bauern immer mehr.


Neben Abgaben und Frondiensten verlangten die Burgherren auch die Gastung für ihre Leute, also Kost und Logis. Vielfach verhängten sie, ebenso wie die Grundherren, den Mühl- und Backzwang und requirierten Wagen und Gerät. Zudem übten die Burgherren vermehrt die niedere Gerichtsbarkeit aus, die eigentlich bei den Grundherren lag. Voll durchsetzen konnte sich dieses System im Laufe des 12. Jahrhunderts. Burg- und Grundherrschaft waren zwar formal zwei getrennte Herrschaftstitel, lagen aber spätestens seit dem 13. Jahrhundert meist in einer Hand. Die Belastung für die Bauern wurde dadurch jedoch nicht geringer.


Literatur


Gilomen, Hans-Jörg: Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. München 2014.


Rösener, Werner: Agrarwirtschaft, Agrarverfassung und ländliche Gesellschaft im Mittelalter. Enzyklopädie Deutscher Geschichte Band 13. München 1992.

Die Prümer Grundherrschaft in Rheinbach

Past Present Promotions ist im kleinen Städtchen Rheinbach ansässig. Der Ort hat eine lange Geschichte. Schon von weitem kann man die Spitzen der Türme der Rheinbacher Burg und der mittelalterlichen Stadtmauer sehen. Doch Rheinbach ist erst recht spät im Mittelalter zur Stadt geworden. Seine Ursprünge liegen in einem Bauerndorf, genannt „Villa in Reginbach“. Die Benediktiner des Klosters Prüm in der Eifel übten die Grundherrschaft in Rheinbach aus.

Die Grundherrschaft in Rheinbach

Karte mit dem Besitzungen des Klosters Prüm im Mittelalter.
Die Besitzungen des Klosters Prüm im Mittelalter. Nach Bühler et. al. 2004.

Zu den Besitzungen des Klosters Prüm gehörte im 9. Jahrhundert auch Rheinbach am Nordrand der Eifel. Rheinbach war damals noch keine Stadt, noch nicht einmal ein richtiges Dorf, sondern ein lockerer Fronhofverband. Laut Prümer Urbar umfasste Rheinbach 53 Hufen, jede damals in dieser Gegend mit etwa 30 Morgen Land. Dazu kamen 269 ½ Morgen Herrenland. 21 ½ Hufen sind zu Lehen vergeben, ebenso 117 ½ Morgen des Herrenlandes. Außerdem gehörte zur Prümer Grundherrschaft in Rheinbach umfangreicher Besitz an Wiesen und Wald.

Die persönlich freien Bauern in Rheinbach

Die Lage der späteren Stadt innerhalb der Grundherrschaft in Rheinbach.
Die Lage der späteren Stadt innerhalb der Grundherrschaft in Rheinbach.

Der größte Teil der Rheinbacher Bauern und ihrer Familien waren persönlich frei. Sie hatten jeder neben ihrer Hufe 4 ½ Morgen Herrenlandes in eigener Verantwortung zu bestellen und zu diesem Zweck auch zehn Fuhren Mist beizusteuern. Zusätzlich mussten die Familien zweimal im Jahr auf dem sonstigen Herrenland beim Pflügen helfen sowie jeweils im Mai und Dezember die Ernte vom Fronhof nach Prüm bzw. Münstereifel fahren. Zudem hatten sie den Fronhof und die Felder des Herrenlandes einzuzäunen, zweimal jährlich je 15 Nächte Wache auf dem Fronhof zu halten, Botendienst zu leisten und in nicht näher bestimmter Menge Brot zu backen und Bier zu brauen – wobei für die verpflichtende Benutzung des herrschaftlichen Back- bzw. Brauhauses wiederum Gebühren fällig wurden. Zudem waren jedes Jahr ein Schwein im Wert von zwei Schillingen, ein Pfund zu Leinen verarbeiteter Flachs, sechs Denare Bargeld, drei Hühner und zehn Eier fällig. Jeweils abwechselnd mussten außerdem entweder vier Denare oder 100 Schindeln als Gebühr für die Waldnutzung entrichtet werden. (12 Denare machten einen Schilling, 20 Schillinge ein Pfund Silber).

Von diesen Mansen-Inhabern stellten 19 Bauern zusätzlich Pferde, beteiligten sich an der Heu- und Getreideernte, halfen bei der Weinlese, ernteten Flachs und verarbeiteten ihn zu Leinwand. Ungewöhnlich ist für diese 19 Mansen die Verpflichtung, jedes Jahr 30 Blutegel abzuliefern. Unweigerlich entsteht dabei das Bild von Kindern, die bis zu den Knien in den zahlreichen Bächen der Umgebung stehen und nach den Blutsaugern suchen.

Die persönlich unfreien Bauern in Rheinbach

Fünf der Rheinbacher Hufen jedoch waren mansi servilis, ihre Besitzer also unfrei. Sie mussten jeder zwar nur drei Morgen Herrenlandes bestellen, dafür aber drei Tage die Woche zur freien Verfügung des Meiers stehen. Entsprechend der höheren Belastung durch die Fronarbeit waren bei ihnen nur zwei Hühner, fünf Eier sowie Flachs beziehungsweise Leinen in unbestimmter Menge fällig.

Literatur

Klaus Flink: Geschichte der Burg, der Stadt und des Amtes Rheinbach. Rheinisches Archiv 59.

Ulrich Nonn: Gesundes Landleben oder harte Fron? Bäuerliches Leben im Mittelalter. Pax et gaudium 17, S. 6-11.

W. Rösener et.al.: Grundherrschaft. Lexikon des Mittelalters, Sp. 1739-1751.

A. Bühler, U. Dirlmeier, H. Ehrhardt, B. Fuhrmann, W. Hartmann, . Hösch, U. R. Kaufmann u. H. R. Singer: Das Mittelalter. Stuttgart 2004.

Grundherrschaft im Mittelalter

Bei unserer Arbeit sehen wir uns immer wieder mit dem typischen Klischee vom Mittelalter konfrontiert: Ritter in strahlender Rüstung und edle Damen in schönen Kleidern. Gerade im Rahmen von Mittelalterfesten in Kindergärten und Grundschulen arbeiten wir natürlich auch selbst mit diesem Klischee. Denn kleine Kinder kann man damit natürlich am besten für Geschichte begeistern.

Doch die Realität sah im Mittelalter anders aus. Mehr als 90 % der Menschen waren nämlich Bauern. Anders als heute gehörte den meisten Bauern im Mittelalter das Land, das sie bebauten, nicht selbst. Sie lebten in Grundherrschaft. Deren Grundzüge will ich hier einmal zusammenfassen.

Grundherrschaft – Trennung von Eigentum und Arbeit

Dieses moderne Wort – den Begriff der Grundherrschaft gab es im Mittelalter nicht – bezeichnet die im frühen Mittelalter entstandene und über lange Zeit gültige Agrarverfassung. Dabei übte der Eigentümer des Landes die Herrschaft auch über die auf diesem Land lebenden und arbeitenden Menschen aus.

Der Grundherr, der der König, ein Adeliger oder auch eine kirchliche Institution sein konnte, bestellte sein Land nicht selbst. Er bewirtschaftete es vielmehr mithilfe der darauf lebenden Bauern. Diesen überließ der Grundherr ein Stück Land zur Nutzung. Diese abhängigen Bauern, die Grundholden, hatten dafür Naturalabgaben und Arbeitsleistungen abzuliefern. Die Grundholden waren an das Land, auf dem sie lebten, gebunden. Denn ohne Menschen, die es bestellten, war Land nutzlos. Die Freiheit der Grundholden war dadurch eingeschränkt.

Es bestand also ein abgestuftes Recht auf das Land: Der Grundherr hatte das Eigentumsrecht, der Bauer eine Stufe darunter das Nutzungsrecht. Eigentum und Arbeit waren voneinander getrennt. Obwohl die meisten Bauern im Mittelalter in Grundherrschaft lebten, gab es durch das gesamte Mittelalter hindurch auch freie Bauern. Diese bewirtschafteten Land, das ihr Eigentum war.

Zentrum der Grundherrschaft: der Fronhof

In der Regel vergab ein Grundherr nicht sein gesamtes Land an abhängige Bauern. Ein Teil des Landes verblieb als so genanntes Salland beim Fronhof (von althochdeutsch frô = Herr, vergl. Fronleichnam = Körper des Herrn; die weiblich Form heißt frouwa und lebt im neuhochdeutschen „Frau“ weiter). Das Salland bewirtschaftete der Grundherr bzw. sein Verwalter, sein maior domus (Meier) mithilfe von persönlich unfreiem Gesinde, den Leibeigenen. In großen bzw. weit verstreut liegenden Grundherrschaften gab es durchaus auch mehrere Fronhöfe. An vielen Orten haben diese Fronhöfe den Lauf der Zeit als Meiereien überdauert.

Das System der Grundherrschaft aus Herren- bzw. Fronhof, Gesinde und den Bauernhöfen in unterschiedlicher Rechtsstellung.
Das System der Grundherrschaft aus Herren- bzw. Fronhof, Gesinde und den Bauernhöfen in unterschiedlicher Rechtsstellung.

Zu solch einem Fronhof gehörte nicht nur das Wohnhaus des Grundherren bzw. des Meiers. Der Hof umfasste vielmehr zahlreiche weitere Gebäude. Die ergaben sich aus der Funktion des Fronhofes als zentralem Ort innerhalb des Sallandes. Das waren neben Stall und Scheune oftmals auch eine Schmiede, ein Backhaus mit Ofen und eine Wassermühle – falls ein Gewässer am Fronhof vorbei floss – sowie gegebenenfalls weitere Werkstätten. Sogar eine Eigenkirche des Grundherren – so genannt, weil der Grundherr die Kirche selbst hatte bauen lassen und das Recht besaß, den Gemeindepriester nach eigenem Gutdünken einzusetzen – konnte hier stehen. Dadurch glich solch ein Fronhof, der ringsum von einem Zaun umgeben war, schon eher einem Dorf statt einem Bauernhof.

Hufenland für die abhängigen Bauern der Grundherrschaft

Das Salland wurde ergänzt vom Hufen- bzw. Mansenland. Dieses Land vergab der Grundherr an die von ihm abhängigen Bauern zur selbständigen Bewirtschaftung. Die Hufen lagen in der näheren und weiteren Umgebung des Fronhofes verteilt. Eine Hufe war die Menge an Ackerland, die eine Bauernfamilie im Jahr bearbeiten und deren Erträge das Überleben der Familie sichern konnte. Da dies jedoch stark von der Qualität des Bodens abhing, konnte die Größe einer Hufe erheblich variieren.

Grade der Abhängigkeit der Bauern in der Grundherrschaft

Der Grad der Freiheit, den die abhängigen Bauern in der Grundherrschaft genossen, war durchaus unterschiedlich. Unter die Grundherrschaft fielen einerseits die Leibeigenen des Grundherren. Dazu kamen die unfreien Hufenbauern, die auf mansi servilis lebten, die Grundhörigen. Im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts begaben sich andererseits aber auch immer mehr persönlich freie Bauern, meist aus finanzieller Not, in die Abhängigkeit. Dabei behielten sie aber ihre persönliche Freiheit.

Frondienste und Abgaben

Ob ein Bauer persönlich frei oder unfrei war, konnte man noch während des 10. und 11. Jahrhunderts an seinen Verpflichtungen seinem Grundherren gegenüber ablesen. Die persönlich unfreien Bauern einer Grundherrschaft hatten nämlich vor allem Fronarbeit, das servitium, auf dem Salland zu leisten. Das waren in der Regel drei Tage in der Woche, dazu Saisonarbeiten z.B. bei der Aussaat und der Ernte. Ihre Abgabenlast war überschaubar. Persönlich freie Bauern hatten hingegen, bis auf einige wenige Hand- und Spanndienste vor allem als Saisonarbeiten, viel weniger zu fronen. Ihre Abgabenlast, der census oder Zins, war gegenüber der der persönlich unfreien Bauern deutlich höher.

Schutz im Tausch für Abgaben

Die Grundherrschaft ging aber nicht einseitig zu Lasten der Bauern. Der Grundherr hatte vielmehr auch für den militärischen und juristischen Schutz seiner Grundholden zu sorgen. Bei Missernten und in Zeiten des Hungers hatte er zudem die Menschen seiner Grundherrschaft aus seinen eigenen Vorräten zu unterstützen.

Damit konnte das Leben in Grundherrschaft durchaus auch Vorteile haben. Denn ein freier Bauer musste für seinen Schutz und den seiner Familie selber sorgen. Er war war auch rechlich auf sich allein gestellt. Neben wirtschaftlicher Not war das ein weiter Grund, aus dem Bauern freiwillig in die Grundherrschaft eintraten.

Veränderungen in der Grundherrschaft im Laufe des Mittelalters

Die Abgaben lasteten immer auf dem Land, nie auf der Person des Bauern. So lässt sich auch erklären, dass im Laufe des hohen Mittelalters der Zusammenhang zwischen dem Rechtsstatus des einzelnen Bauern und der Art seiner Hufe verloren ging.

Überhaupt gingen im Laufe des hohen Mittelalters die Lasten durch Fronarbeit zugunsten der Abgaben stetig zurück. Diese wurden zudem mehr und mehr in Geldzahlungen umgewandelt. Dies hat sicherlich mit dem Aufstieg der Ministerialität zu tun. Dazu kam die Notwendigkeit, das Salland der Grundherrschaften an immer mehr kleine Lehnsträger zu vergeben. Spätestens gegen Ende des 13. Jahrhunderts waren die meisten Sachabgaben durch Geldzahlungen ersetzt.

Leider vergaßen die Grundherren auch immer öfter, dass sie den von ihnen abhängigen Menschen auch Schutz schuldeten. So wurde der in seinem Ursprung durchaus sinnvolle Gesellschaftsvertrag irgendwann ad absurdum geführt.

Zur Entstehung der Grundherrschaft habe ich einen eigenen Beitrag verfasst.

Literatur

Ulrich Nonn: Gesundes Landleben oder harte Fron? Bäuerliches Leben im Mittelalter. Pax et gaudium 17, S. 6-11.

W. Rösener et.al.: Grundherrschaft. Lexikon des Mittelalters, Sp. 1739-1751.