Ein Knochenschnitzer bei der Arbeit

Standorte für städtische Handwerker im Mittelalter

Eines unserer Standbeine ist die Organisation historischer, vor allem mittelalterlicher Handwerkermärkte. Da liegt es nahe, sich mit dem Thema Handwerk im Mittelalter ein bisschen näher zu beschäftigen. Denn Straßennamen wie Löhergasse, Tuchgaden, Töpferhof, wie zum Beispiel in Frankfurt am Main, geben zwar in vielen mittelalterlichen Altstädten Hinweise auf die Standorte für städtische Handwerker im Mittelalter. Aber haben hier wirklich diejenigen gewohnt, deren Berufsbezeichnung auf dem Straßenschild steht? Ich bin dem einmal nachgegangen.

Archäologen und Historiker untersuchen die früheren Standorte städtischen Handwerks

Ob städtische Handwerker wirklich in den Straßen gelebt und gearbeitet haben, die den Namen ihres Handwerks tragen, hängt vor allem davon ab, um welches Handwerk es sich handelt. Aber auch, für welche Stadt und für welche Zeit diese Frage gestellt wird. Oft lässt sich jedoch keine befriedigende Antwort finden. Das liegt an den beschränkten methodischen Möglichkeiten.

Archäologen suchen nach Hinterlassenschaften der Handwerker im Boden. Bei denjenigen Berufen, die mit festen Ein- oder Aufbauten gearbeitet haben, geht das sehr gut. Solche Handwerker sind zum Beispiel Gerber mit ihren Gruben oder Töpfer und Bäcker mit ihren Öfen. Mit Einschränkungen können auch Werkzeuge oder Produktionsabfälle genutzt werden, die im Boden erhalten wurden. Doch muss der Archäologe hier immer mit erheblichen Verlagerungen rechnen.

Mindestens zwei Drittel aller Handwerker, die in einer Stadt gearbeitet haben, sind archäologisch allerdings überhaupt nicht fassbar. Dennoch können Archäologen wichtige Beiträge zur Gewerbesituation einer Stadt leisten. Vor allem, wenn schriftliche Zeugnisse fehlen, ist ihre Arbeit gefragt.

Quellen des Historikers sind hingegen insbesondere die Steuerlisten, die in jeder Stadt auch schon im Mittelalter geführt wurden, die so genannten „Schoßregister“. Leider sind in den Listen nur die Namen der Steuerpflichtigen verzeichnet. Außerdem setzt die Überlieferung dieser Dokumente erst recht spät im Mittelalter ein und ist ziemlich lückenhaft.

Nur in einigen wenigen Fällen sind ältere Listen erhalten. So beispielsweise in Köln für das Kirchspiel St. Kolumba. Hier ist die Kirchensteuerliste aus dem Jahr 1286 überliefert. Diese Liste macht deutlich, wie wenig aussagekräftig mitunter die Straßennamen für das städtische Gefüge sind.

Straßenplan des Kirchenspiels St. Kolumba in Köln mit den nachweisbaren Standorten der Handwerker im Jahr 1286.
Straßenplan des Kirchenspiels St. Kolumba in Köln mit den nachweisbaren Standorten der Handwerker im Jahr 1286.
Schmiede – nicht immer da, wo sie sein sollten

Als Beispiel können hier die Schmiede dienen. Denn weder in der Kölner Streitzeug- noch in der Schwertnergasse war im Jahr 1286 auch nur ein einziger Waffen- oder Rüstungsschmied ansässig. Diese konzentrierten sich vor allem im Bereich der Hohe Straße. Kein Wunder, denn die Kölner Schmiede gehörten nicht zu den armen Leuten und die Hohe Straße war Teil von Kölns „guter Stube“.

Arme Leute wiederum waren schon eher in der Streitzeuggasse anzutreffen. Die einzigen beiden Handwerker unter ihnen, die überhaupt etwas mit der Metallverarbeitung zu schaffen hatten, waren zwei Kesselschläger.

In Basel waren die Verhältnisse ganz ähnlich. Hier sind in den Schoßregistern des Jahres 1453/54 in der Eisengasse nur ein Messerschmied und ein Schwertfeger aufgeführt, dafür aber 16 Schuster!

Gerbergassen – Stinker am Stadtrand

Ganz anders sieht die Situation bei den Gerbern aus. Ob nun am Rotgerberbach wie in Köln oder in der Löhergasse – unter Lohe versteht man gehäckselte Eichen- oder Fichtenrinde, die große Mengen des für die Rotgerbung nötigen Gerbstoffes Tannin enthält – wie in Frankfurt: Dort haben mit großer Wahrscheinlichkeit tatsächlich überwiegend Gerber gelebt oder zumindest gearbeitet. Denn um aus rohen Häuten Leder zu machen, benötigt der Gerber große Mengen an Wasser. Daher haben die Gerber ihre Werkstätten stets an einem Gewässer betrieben.

Karte der Altstadt von Frankfurt/M.
Karte der Altstadt von Frankfurt/M.

Außerdem haben mittelalterliche Gerbereien erbärmlich gestunken. Im Laufe der Zeit wurden daher die Gerberwerkstätten durch städtische Verordnungen immer stärker in eigenen Vierteln konzentriert. So auch in Villingen: Hier lagen die Gerbereien zumeist in der – wie der Name schon vermuten lässt – Gerberstraße. Die Lage am Stadtrand und direkt an einem Arm des Stadtbachsystems, kurz bevor die stinkende Brühe die Stadt verließ, ist typisch für dieses Handwerk.

Villingen im späten Mittelalter mit den nachgewiesenen Standorten von Gerbereien.
Villingen im späten Mittelalter mit den nachgewiesenen Standorten von Gerbereien.

Mancherorts mussten die Gerber zumindest mit ihren Werkstätten sogar vor die Stadt ausweichen. So verfügte der Rat der Stadt Bern im Jahr 1326 die Ansiedlung der Gerber im Gerbergraben, und das sogar unter Androhung der Zwangsumsiedlung.

Der Stadtplan des mittelalterlichen Höxter im späten Mittelalter mit den nachweisbaren Gewerben.
Der Stadtplan von Höxter im späten Mittelalter mit den nachweisbaren Gewerben.

In Höxter durften die Gerber zwar in der Stadt wohnen bleiben. 1514 erlegte ihnen der Stadtrat jedoch auf, ihre Häute nur noch außerhalb der Stadt zu reinigen. Sie sollten so die städtischen Gewässer nicht so verschmutzen. Ganz aus der Stadt konnte man die Gerber nicht weisen. Denn sie gehörten in Höxter zu den wohlhabenderen und damit auch einflussreicheren Bürgern.

Feuer, Lärm und Gestank – unbeliebte Nachbarn

Nicht nur die Gerber wurden häufig an den Stadtrand oder in die Vorstädte gedrängt. All diejenigen Berufe, die mit einer mehr oder weniger intensiven Geruchsentwicklung einhergingen, waren in vielen Städten ungern gesehen. Aber auch solche, zu deren Ausübung ein Feuer unterhalten werden musste, wurden vielfach aus dem Stadtzentrum verbannt. Auch wenn man ihrer Dienste dringend bedurfte:

In Siegen wurden die Gerber und Metzger wegen des Gestankes in einer Straße zusammengezogen. Die Schmiede, Schlosser und Fallenschläger konzentrierte man hingegen wegen des Lärms und der Feuergefahr in einem eigenen Straßenzug.

In Frankfurt/Main wies 1403 der Rat der Stadt die Fassbinder und Böttcher darauf hin, dass für sie Wohnpflicht in der Bendergasse bestehe. Offensichtlich war diese Verordnung aber auch 100 Jahre nach ihrem Inkrafttreten ohne nennenswerten Erfolg geblieben.

Bischof Johann II. von Würzburg verfügte in der Polizeiordnung von 1424/26, dass Kesselschläger und Töpfer zwar in der Stadt wohnen und hier auch ihre Erzeugnisse verkaufen durften. Ihre Werkstätten aber mussten sie in den Vorstädten betreiben. Diese Handwerker gingen daraufhin in der Pleichachvorstadt ihrer Arbeit nach.

Der Rat der Stadt Basel verbannte nach dem Stadtbrand im Jahr 1427 die Bäcker, Töpfer und Glockengießer aus der Stadt, da diese in ihren Werkstätten Feuer unterhielten. In Lübeck mussten sich 1477 alle Kerzenmacher dorch stankes willen und auch wegen der Brandgefahr vor dem Holstentor niederlassen. In Straßburg wurden im 15. Jahrhundert erstaunlicherweise die Bäcker zur Vermeidung von Gestank aus der Stadt gewiesen. Die Liste ließe sich beinahe endlos fortsetzen.

Ein weiteres Mittel, mit dem sowohl der Stadtrat als auch einzelne Grundstücksbesitzer Einfluss auf die Verteilung der verschiedenen Gewerbe ausüben konnten, waren Berufsverbote für einzelne Grundstücke. In Köln bestanden solche Verbote für Metzger, Gerber, Färber, Hutmacher, Schmiede und solche Berufe, die Schmelzöfen betrieben.

Umgekehrt war die Vergabe einer Gewerbelizenz oft an bestimmte Grundstücke gebunden. Zu den betroffenen Gewerben gehörten die Schmiede, die Bäcker, die Töpfer und die Brauer. Verordnungen der Zünfte spielten bei der Verteilung der verschiedenen Berufe in der Stadt hingegen keine Rolle.

Ausnutzung von Standortvorteilen durch städtische Handwerker

Die Gerber waren nicht die Einzigen, deren Berufsausübung an bestimmte räumliche Voraussetzungen geknüpft war. In vielen Städten waren sie immer wieder an ähnlichen Standorten zu finden. So haben sich Seiler meist am Stadtrand in der Nähe der Mauer niedergelassen. Denn hier konnten sie am besten die langen Reeperbahnen errichten. Hufschmiede unterhielten ihre Werkstätten oft verkehrsgünstig an den Torstraßen.

All diejenigen Handwerker, die den alltäglichen Bedarf der Bewohner deckten, wie Bäcker, Schuhmacher und Schneider, waren meist gleichmäßig über die Stadt verteilt. Doch auch hier gab es Ausnahmen. So saßen die Kieler Schuhmacher fast alle in der Haßstraße und „Bei der Mauer“. Die Goslarer Bäcker konzentrierten sich an der Bäckerstraße.

Der Stadtplan von Göttingen im späten Mittelalter mit den nachweisbaren Standorten für städtische Handwerker.
Der Stadtplan von Göttingen im späten Mittelalter mit den nachweisbaren Standorten für städtische Handwerker.

Bei den Metzgern war die Streulage, so sie nicht ohnehin aufgrund einer Verordnung in die Vorstädte abgedrängt wurden, ebenfalls der Normalzustand. Doch es gab gerade bei den Angehörigen dieses Berufes viele Ausnahmen. Die Lübecker Metzger konzentrierten sich in der Nähe des Schlachthauses.

In Göttingen konzentrierten sich die Metzger im Nicolai-Viertel und in Hamburg am nördlichen Stadtrand zwischen dem Schlachthof und den Fleischschrangen – den Verkaufsständen. Gründe für diese Konzentrationen sind wohl überwiegend wirtschaftlicher und weniger rechtlicher Natur. Der Bezug von Rohstoffen und Produktionsmitteln dürfte dafür Anlass gewesen sein.

Immer ein wenig außen vor – die Töpfer

Städtische Handwerker, die meist freiwillig am Stadtrand, in den Vorstädten oder gar ganz außerhalb der Städte lebten und arbeiteten, waren unter anderen die Töpfer. Überhaupt war das Töpferhandwerk traditionell eher auf dem Land angesiedelt, weswegen die Töpfer nur langsam den Weg in die Städte fanden. Denn dort war die Versorgung mit Ton, Holz und Wasser, den Rohstoffen für das Töpferhandwerk, ungleich schwieriger als außerhalb der Mauern.

Reine Töpfervorstädte sind zum Beispiel aus Mayen bekannt, wo die Töpfer zwar in Sichtweite der Genovevaburg, aber von dieser durch einen Graben getrennt lebten. In Siegburg lagen die Werkstätten der Töpfer an der Aulgasse (Aul/Ul = Topf),  nördlich der Stadt. Viele Siegburger Töpfer hatten ihre Wohnhäuser jedoch innerhalb der Stadtmauern. In Regensburg waren die Töpfer in der Prebrunn- (Brennbrunn-) Siedlung ansässig. Mit dem Prebrunntor hatte die Töpfersiedlung auch einen eigenen Zugang zur Stadt.

Starker Stoff – die Weber

Die Situation der Wollweber stellt sich in den einzelnen Städten sehr unterschiedlich dar. Das liegt daran, dass in einigen Städten sehr feine Wolltuche hergestellt wurden, die zu einem großen Teil in den Export gingen. Die Wollweber gehörten hier zu den reicheren Leuten. Daher wohnten sie auch eher in den teureren Lagen im Stadtzentrum. In den Städten, in denen Tuche vor allem für den lokalen Markt erzeugt wurden, wohnten die Wollweber über die Stadt verstreut.

Gänzlich abweichend war die Wohnsituation der Wollweber in Hildesheim, Braunschweig, Göttingen und Würzburg. Hier lebten die Tuchmacher in den Vorstädten. Das lag aber nicht an ihrer sozial schwachen Stellung, sondern daran, dass hier – in Hildesheim und Braunschweig belegt, in Göttingen und Würzburg zumindest sehr wahrscheinlich – flandrische Weber angeworben und in eigens für sie errichteten Vorstädten untergebracht wurden.

Viel schlechter als den Wollwebern ging es den Leinewebern. Im Spätmittelalter zählten sie in manchen Regionen gar zu den unehrlichen Leuten. Der Grund dafür war unter anderem, dass sie wegen des reichlichen Abfalls, der auf dem Weg vom Flachsstängel zum fertigen Leinen anfällt, weniger Fertigprodukte auslieferten, als sie vorher Rohstoff erhalten hatten. Den Verdacht, unterwegs ein wenig davon in die eigene Tasche abzuzweigen, wurden sie nicht los. Da sie es mit ihrer Arbeit nicht zu Wohlstand bringen konnten, wohnten sie in den ärmeren Gegenden am Stadtrand.

Sehr gefragt – die Bäcker

Die Bäcker gehörten zu den für die örtliche Versorgung unbedingt nötigen Handwerkern. Entsprechend waren ihre Wohn- und Arbeitsstätten meist recht gleichmäßig in der Stadt verstreut. In manchen Städten, so auch in Göttingen, siedelten sich ein paar mehr Bäcker am Marktplatz an. Auch in Höxter lebten zwischen 1482 und 1517 die meisten der 14 in den Schoßregistern nachweisbaren Bäcker in der Nähe des alten und des neuen Marktes sowie verkehrsgünstig an der Westerbeke, dem Strang des Hellweges durch die Stadt.

Mancherorts waren besonders Eckgrundstücke bei Bäckern beliebt. Auch hier war wohl wieder die gute Erreichbarkeit für die Kunden ausschlaggebend. Ein in Höxter ergrabener Backofen aus dem 15. Jahrhundert lag ebenfalls in einem Eckhaus, doch ist es verwunderlich, dass dieses Grundstück keinem der in der fraglichen Zeit in Höxter urkundlich erwähnten Bäcker zugeordnet werden kann.

Literatur

H. Jansen, G. Ritter, D. Wiktorin, E. Gohrbandt u. G. Weiss: Der historische Atlas Köln. Köln 2003.

Landesdenkmalamt Baden-Württemberg/Stadt Zürich (Hrsg.): Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch. Stuttgart 1992.

H. Rüthing: Höxter um 1500. Paderborn 1986.

H. Steenweg: Göttingen um 1400. Göttingen 1990.

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